Heribert Prantl auf Einladung des Christenrats in Fürstenfeld
Die Friedensdekade 2019 stand unter dem Motto: Friedensklima. Es wies zum einen auf den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Gefährdung des Friedens hin, zum andern aber auch auf das von „hate speech“ und „fake news“ vergiftete innergesellschaftliche Klima sowie auf die „Großwetterlage“ dieser Welt mit ihren Konflikten und Kriegen. Der Christenrat fragte: „Wie können wir diesen übermächtig erscheinenden lebensfeindlichen Klimaveränderungen begegnen, ohne in Resignation zu verfallen oder zynisch zu werden?“ Zu einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung hatte der Christenrat Prof. Dr. Heribert Prantl (München) eingeladen, Jurist, Journalist bei der Süddeutschen Zeitung und Publizist. Der Abend stand unter dem Motto „Friede ist machbar – trotz allem“.
Vor gut 200 Zuhörerinnen und Zuhörern rief Prantl am Mittwoch, 13. November 2019 im Veranstaltungsforum Fürstenfeld zum „kleinen Widerstand“ gegen den alltäglichen Rassismus, gegen Nationalismus, Entsolidarisierung und Ökonomisierungsexzesse auf. Diese Widerständigkeit habe nichts mit Aufruhr, Gewalt und Umsturz zu tun, sie äußere sich nicht in lautstarken Umtrieben und Krawallen. „Der Widerstand, von dem ich rede, heißt Widerspruch, Zivilcourage, aufrechter Gang. Er besteht im Misstrauen gegen die Mächtigen, im Mut zu offener Kritik, in der Demaskierung von Übelständen“, sagte Prantl. Wer sich gegen die öffentlichen Trends zu populistischem Extremismus, Sündenbockdenken und „vernetzter Verblödung“ in den sozialen Netzwerken wehre, der zähle zu den aktiven Friedensstiftern, denn der Frieden sei nicht einfach da, den müsse man erkämpfen. Um etwas voranzubringen, müsse man den kleinen Widerstand vervielfältigen. Dazu könne jeder Einzelne beitragen. „Schreiben Sie Ihrem Abgeordneten. Wenn das 50 Leute aus Fürstenfeldbruck, 50 aus Puchheim und 50 aus Gilching tun, dann beeindruckt ihn das“, ermunterte Prantl sein Publikum.
Den Mut und die Kraft zur Widerständigkeit bezog Prantl aus der Bibel. Es war still im kleinen Saal im Veranstaltungsforum, als Prantl die biblische Geschichte vom Brudermord Kains neu erzählte. Kain, der Ältere, der Ackerbauer, der Besitzende haben seinen jüngeren Bruder Abel, den Schafhirten, den Habenichts ermordet, weil er es nicht aushalten konnte, dass Gott nicht sein Opfer, sondern das seines Bruders angenommen habe. Kain sei der Prototyp des Starken, der es nicht ertrage, wenn er nicht der Erste sei. Er habe sich missachtet in seinen vermeintlichen Rechten gefühlt. Er habe Angst gehabt, dass Abel ihm überlegen werden könne. Aus dem Ärger sei Hass geworden, aus dem Hass Mord. In der Gewalt habe Kain den einzigen Ausweg gesehen, seine Stellung zu verteidigen. Die „Kains von heute“ beschwerten sich über die ihrer Ansicht nach „übertriebene politische Korrektheit“ gegenüber den Frauen, den Schwulen, den Ausländern. So komme es auch heute zu Ungerechtigkeiten bis hin zur Gewalt gegen manche Personengruppen. Prantl rief dazu auf, es zu machen wie Gott und den Kreislauf der Gewalt und des Unheils zu durchbrechen. Gott habe nämlich den Mörder Kain trotz seiner abscheulichen Tat nicht der vergeltenden Gewalt seiner Mitmenschen ausgeliefert, sondern ihm ein Zeichen, das Kainsmal, aufgedrückt, das ihn vor Gewalt schützte. So sei er, der nicht der „Hüter seines Bruders“ sein wollte, selbst geschützt worden.
Es gebe also eine Möglichkeit, auf dem weltweiten Weg zu Hass und Gewalt umzukehren, wie Paulus im 2. Brief an Timotheus geschrieben habe. „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ (Tim 1,7) Prantl erläuterte: „Der Geist der Kraft: Es ist eine Kraft, die manchmal sogar nach Schwäche aussieht, also die Kraft, auf einen eigenen unmittelbaren Vorteil zu verzichten, die Kraft, nicht zurückzuschlagen, ein verletzendes Wort ungesagt zu lassen, die Kraft, von neuem die Verhandlung zu suchen, wenn gerufen wird, man solle bombardieren. Der Geist der Liebe: Gemeint ist zupackende Solidarität. Der Geist der Liebe fragt danach, was dieser Mensch hier und jetzt braucht. Es ist dieser Geist, der der Flüchtlingspolitik so sehr fehlt. Der Geist der Besonnenheit: er verlangt, das Hirn einzuschalten. Denken ist besser als Twittern. Und der kleine Widerstand gegen den alltäglichen Rassismus, gegen den Nationalismus, gegen die Entsolidarisierung, gegen die Ökonomisierungsexzesse und gegen den Datensammelwahnsinn – er ist besser als das Surfen mit dem Zeitgeist.“
Auf diesen Geist Gottes könne man sich verlassen, man müsse ihn nur an sich wirken lassen, betonte Prantl. Die nach der Kreuzigung Jesu verschüchterten Jünger hätten sich versteckt. An Pfingsten hätten sie den Geist Gottes neu gespürt und seien dann furchtlos an die Öffentlichkeit gegangen. So und nur so sei das Christentum entstanden. Das sei ein Vorbild für heute. Dann habe der „populistische Extremismus“ ebenso wenig eine Chance wie Hetze, Gewalt und Krieg.
Prantl schloss seinen Vortrag so: „Die Welt ist in Unruhe. Bin ich denn der Hüter meines Bruders? So fragte Kain Gott, nachdem dieser seinen Bruder Abel ermordet hatte. Das Überleben der Menschheit hängt davon ab, dass wir diese Frage mit Ja beantworten.“