76 Jahre nach Kriegsende: Glaubenszeugnisse von damals – Ermutigung für heute
Am 26. März 2021 sind 40 Mitglieder aller christlichen Konfessionen gemeinsam durch die Fürstenfeldbrucker Innenstadt gegangen und haben gebetet. An sechs Stationen haben sie, 76 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, an christliche Widerstandskämpfer gegen das verbrecherische nationalsozialistische Regime erinnert. Ihr Glaubenszeugnis von damals soll Ermutigung für uns heute sein.
Friedrich von Bodelschwingh (1877-1946)
Wie sein gleichnamiger Vater, der Gründer der „Anstalt für Epileptische Bethel“ bei Bielefeld, hat auch der Sohn sein Leben den Menschen mit Behinderung in Bethel gewidmet. Im Mai 1933 wurde er zum Reichsbischof der „Deutschen Evangelischen Kirche“ gewählt, trat aber nach wachsendem politischem Druck kurz nach der Wahl zurück und blieb in Bethel. Als Leiter einer Behinderteneinrichtung war er mit der nationalsozialistischen Rassenpolitik konfrontiert. Gegenüber eugenisch indizierten Sterilisationen zeigte er sich aufgeschlossen, so wurde das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ auch in Bethel umgesetzt. Die nationalsozialistischen Morde an kranken und behinderten Menschen lehnte Bodelschwingh jedoch ab. Er nahm Kontakt zu den Verantwortlichen des nationalsozialistischen Staates auf, öffentliche Proteste vermied er allerdings. Mit hartnäckigen Verhandlungen und Tricks, wie dem Nichtausfüllen von Meldebögen, verhinderte er den massenhaften Abtransport der Patienten und Patientinnen. Das Leiden und das Kreuz Christi standen im Mittelpunkt seiner persönlichen Frömmigkeit. In der Freien Evangelischen Gemeinde, der ersten Station der Langen Nacht der Christen 2021, wurde Bodelschwinghs Passionslied von 1938 vorgetragen:
Nun gehören unsre Herzen ganz dem Mann von Golgatha,
der in bittern Todesschmerzen das Geheimnis Gottes sah,
das Geheimnis des Gerichtes über aller Menschen Schuld,
das Geheimnis neuen Lichtes aus des Vaters ewger Huld.
Edith Stein (1891-1942)
Am Wegkreuz im Stadtpark Fürstenfeldbruck wurde der katholischen Ordensschwester Edith Stein gedacht. Sie stammte aus einer jüdischen Familie aus Breslau. 1922 wurde sie katholisch getauft. Edith Stein studierte Philosophie und war als Lehrerin tätig. Sie engagierte sich für die Rechte von Frauen und war in den 1920er Jahren eine gefragte Rednerin zu Themen der Frauenfrage. Sie verfasste mehrere philosophische Arbeiten. Eine Hochschulkarriere blieb ihr aber versagt. 1933 trat sie in ein Karmelitenkloster in Köln ein und nahm den Ordensnamen Theresia Benedicta vom Kreuz an. Auch nach ihrer Konversion zur Katholischen Kirche fühlte sich Edith Stein dem jüdischen Volk verbunden. Sie wandte sich an Papst Pius XII. und bat ihn, für das jüdische Volk einzutreten. 1942 wurde sie im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ermordet. „Wir gehen für unser Volk“, soll sie beim Abtransport ins KZ zu ihrer Schwester gesagt haben. 1998 wurde sie von der Katholischen Kirche heiliggesprochen.
Worte von ihr: „Zum Gehorsam gehört die Möglichkeit des Ungehorsams, auch wenn faktisch niemals Wahl und Widerstand stattfindet.“ Und: „Kreuz und Nacht sind der Weg zum himmlischen Licht. Das ist die frohe Botschaft vom Kreuz.“ Und: „Dass ´Sein Wille geschehe!‘ in seinem vollem Ausmaß muss die Richtschnur des Christenlebens sein. Es muss den Tagesablauf vom Morgen bis zum Abend, den Gang des Jahres und des ganzen Lebens tragen.“
Dietrich Bonhoeffer (1906-1945)
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Als der 39jährige evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis dieses Gedicht an Weihnachten 1944 schrieb und an seine Verlobte schickte, wusste er, dass sein Leben bald zu Ende gehen würde. Er war verhaftet worden. Bonhoeffer beteiligte sich an Umsturzplänen gegen Hitler und wurde dafür von den Nazis 1945 erhängt. Früh hatte er die Gefahr und die verbrecherischen Pläne der Nationalsozialisten durchschaut und davor gewarnt. In einer Abhandlung zur Ethik schrieb er: „So oder so wird der Mensch schuldig und so oder so kann er allein von der göttlichen Gnade und der Vergebung leben.“ Angesichts der Judenverfolgung ging er den Schritt von der Kritik zum Widerstand. Bei Auslandsreisen informierte er heimlich über den geplanten Putsch und versuchte, das Ausland von einer Vernichtung Deutschlands abzuhalten. Der Theologe und Pfarrer steht für geradlinige Protestanten, die es wagten, bis in den Tod ihren Glauben mutig zu bekennen. Vor der evangelischen Erlöserkirche gedachte man seiner in Ehrfurcht und Demut.
Freya von Moltke (1911-2010)
Freya von Moltke begründete 1940 mit ihrem Ehemann Helmuth James von Moltke und anderen eine Gruppe, die darüber nachdachte, wie nach dem Ende des Nationalsozialismus eine neue Gesellschaft aufgebaut werden und aussehen könne. Daraus entwickelte sich der „Kreisauer Kreis“, benannt nach dem Gut der Familie von Moltke in dem schlesischen Dorf Kreisau. Freya von Moltke organisierte mit den Gleichgesinnten drei Zusammenkünfte im Mai 1942, Oktober 1942 und Juni 1943 mit dem Ziel, Gesellschaftsentwürfe für eine Nachkriegszeit zu erstellen. Freya von Moltke überlebte, ihr Mann wurde von den Nazis 1945 ermordet. Nach dem Krieg widmete sich Freya von Moltke in verschiedenen Initiativen der deutsch-polnischen und europäischen Verständigung. Nach einem Besuch ihres Mannes im Gefängnis sagte Freya von Moltke: „Mein Mann ist noch nicht zerstört von den Nazis.“ Sie schrieb ihrem Mann ins Gefängnis: „Außer dem Leben können sie Dir ja nichts nehmen“. Der antwortete am Tag seiner Hinrichtung: „Sonst nichts anderes, als dass ich Dich, mein sehr liebes Herz, sehr lieb habe und dabei bleibt’s.“ Man gedachte der mutigen Frau vor der Leonardikirche.
Pater Rupert Mayer SJ (1876-1945)
Das Leben und der politische Widerstand des Jesuitenpaters Rupert Mayer stand im Mittelpunkt einer Andacht in der Kirche St. Magdalena. Seit 1922 wirkte er als Seelsorger in St. Michael in München. In seinen Predigten und Reden griff er von Beginn an in scharfer Form frontal den Nationalsozialismus an. 1937 erhielt er von Gestapo reichsweit Predigtverbot. Dreimal war er im Gefängnis wegen „heimtückischer Angriffe gegen die Partei und den Staat und Kanzelmissbrauchs.“ 1940 wurde er in das Kloster Ettal abgeschoben, das er bis Kriegsende nicht verlassen durfte. Pater Rupert Mayer starb 1945 während er einen Gottesdienst feierte. 1987 wurde er von Papst Johannes Paul II. in München seliggesprochen. Was kann uns Rupert Mayer heute sagen, fragten sich die Teilnehmenden der „Langen Nacht“. Einige Antworten: Pater Rupert Mayer konnte die Grenzen seiner sozialen Schicht überwinden, er trug das Christentum, seine Hilfe und seine Botschaft zu den sog. sozial Schwachen, hatte keine Berührungsängste. Wäre das für uns heute eine Ermutigung in unserer Mittelschichtkirche? P. Rupert Mayer interessierte sich für Politik. Auch hier überschritt er die Filterblase der bürgerlich-christlichen Partei, er besuchte Veranstaltungen der politischen Gegner, der Kommunisten und Sozialisten und natürlich der Nazis. Und er outete sich und verteidigte die christlichen Werte Er merkte sehr schnell, woher die Gefahr für die Kirche, für die Menschenwürde und den Glauben kam. Trauen wir Christen uns heute ein solch aktives Zugehen auf politisch Andersdenkende zu? Haben wir den Mut, anzuecken, zu widersprechen, und zwar konkret? Könnte uns P. Rupert Mayer ermutigen, zwar seine Meinung zu sagen, sich aber doch in die Gemeinschaft der Kirche einzufügen? Zum Schluss dieser Station in St. Magdalena sprach man ein Gebet, das Pater Rupert Mayer selbst verfasst hatte:
Herr, wie Du willst, so soll mir gescheh`n
und wie Du willst, will ich geh`n;
hilf Deinen Willen nur versteh`n!
Herr, wann Du willst, dann ist es Zeit;
und wann Du willst, bin ich bereit,
heut und in Ewigkeit.
Herr, was Du willst, das nehm` ich hin
und was Du willst, ist mir Gewinn;
Genug, dass ich Dein eigen bin.
Herr, weil Du`s willst, drum ist es gut;
und weil du`s willst, drum hab` ich Mut.
Mein Herz in Deinen Händen ruht!
Katharina Staritz (1903-1953)
In der Neuapostolischen Kirche wurde das Leben der evangelischen Theologin Katharina Staritz geschildert. Sie war u. a. in der „Kirchlichen Hilfsstelle für evangelische Nichtarier“ für die kirchliche Betreuung von Juden und ihren Angehörigen tätig. Katharina Staritz sorgte dafür, dass viele von ihnen auswandern konnten. Die evangelische Theologin setzte sich in der Zeit des Nationalsozialismus als Breslauer Stadtvikarin für jüdische Christen ein. Während diese vom Judentum zum Christentum auch auf Vorbehalte in den Kirchen stießen, unternahm Katharina Staritz alles, um sie in den Gemeinden zu integrieren und nicht auszugrenzen. Als Juden ab 1941 den Davidsstern tragen mussten, schrieb sie an ihre Breslauer Amtsbrüder in einem Brief: „Es ist Christenpflicht der Gemeinden, sie [Anmerkung: jüdische Christen] nicht etwa wegen der Kennzeichnung vom Gottesdienst auszuschließen. Sie haben das gleiche Heimatrecht in der Kirche, wie die anderen Gemeindemitglieder und bedürfen des Trostes aus Gottes Wort besonders. Für die Gemeinden besteht die Gefahr, dass sie sich durch nicht wirklich christliche Elemente irreführen lassen, dass sie die christliche Ehre der Kirche durch unchristliches Verhalten gefährden. Es muss ihnen hier seelsorgerlich, etwa durch Hinweis auf Luk. 10, 25–37, Matth. 25, 40 und Sach. 7, 9–10 geholfen werden.“ Die Breslauer Kirchenleitung entband sie daraufhin fristlos von ihrem Dienst. Die Nationalsozialisten reagierten scharf auf ihre Aktivitäten. Sie musste von 1941 bis 1943 Schutzhaft, Arbeitslager und Inhaftierung im Frauen-KZ Ravensbrück erdulden. Nach dem Krieg arbeitete Katharina Staritz vor allem in der Frauenseelsorge in Hessen.
Seit 2007 machen sich Christen aller Konfessionen in Fürstenfeldbruck auf den Weg durch ihre Stadt und bekunden öffentlich ihren Glauben. 2020 musste die „Lange Nacht“ coronabedingt ausfallen, 2021 konnte man unter strenger Beachtung der Richtlinien wieder durch die Straßen gehen. Der Blick auf die Glaubenszeugnisse von damals hatte manchen nachdenklich für heute gemacht.
Dr. Bernd Hein