Liebe Gemeinde,
Freiheit ist ein hohes Gut! In der Botschaft des Evangeliums und im Leben Jesu ist die Freiheit grundgelegt. Jesus selbst hat aus einer tiefen Freiheit heraus seine Rede von Gott gestaltet. Er traute sich, den Gesetzesgläubigen seiner Zeit und seiner Religion zu widersprechen – er stellte den Menschen in die Mitte seiner Botschaft, die er als Beziehungsgeschichte zwischen Gott und Mensch verkündet und gelebt hat.
Immer wieder entdecken wir beim Lesen der Jesusgeschichte sein Grundanliegen: die neue Beziehung zwischen Gott und Mensch aus der geschenkten Freiheit. Gesetze und Gebote waren ihm insofern wichtig, als sie letztlich dazu dienen müssen, dass sich die Menschen als zusammengehörig, wie Brüder und Schwestern verstehen. Überall dort, wo sich Unterdrückung und Rechthaberei im Namen Gottes breit machen, widerspricht er: kein Gebot, kein Gesetz kann dazu verwendet werden, dass sich Menschen gegenseitig ausschließen. Er selbst ist so gesehen die offene Tür zu Gott, der Quelle aller Freiheit und die offene Tür zueinander. Jesus hat nie jemand verurteilt – auch das kennen wir aus den Berichten der Evangelien.
Wenn unsere Christentumsgeschichte auch etwas anderes zu Tage fördert, dann ist es an der Zeit, dass wir uns endlich auf den Weg machen, um alle gegenseitigen Verurteilungen aus der Welt zu schaffen. Seine Bitte lautet ja: „ sie sollen eins sein –damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.“ Was für uns als Christen insgesamt gilt, das gilt natürlich für jede unserer Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zuerst. Immer wieder werden wir uns fragen müssen: wie lassen wir jede und jeden einzelnen in der jeweiligen Kirche gelten? So, wie es viele Kirchen gibt, so gibt es auch in jeder Kirche individuelle, ganz persönliche Wege mit und zu Jesus, der die offene Tür zu Gott ist. In der Jesuslehre wird uns die Gottunmittelbarkeit angeboten!
In der katholischen Kirche haben wir diese Erkenntnis so noch nicht Allzu lang gewonnen. Das II. Vatikanische Konzil formulierte vor 50 Jahren erst den Begriff der Religionsfreiheit, das Dekret über den Ökumenismus und die Erklärung zu den nichtchristlichen Religionen. Innerkirchlich bedeutete das eine völlig neue Blickrichtung auf die Wirklichkeit. In all diesen Dokumenten steht der Mensch, betrachtet mit den Augen Jesu, im Mittelpunkt. Es geht um ein gemeinsames Menschenhaus, in dem alle menschenwürdig leben können, um so sichtbar zu machen, dass es Gott ist, der allem Sinn und Zukunft gibt. Die Kirche selbst ist dabei in der dienenden Funktion, die offene Tür zu diesem Menschenhaus zu sein, in dem Gott jede und jeden erwartet, wie der Vater den verlorenen Sohn.
Die Gabe der Freiheit, aus Liebe geschenkt, gibt dem Leben Weite und führt zugleich zur Gabe der Verantwortung, die allein dem Menschen eigen ist. Der Mensch als Ebenbild Gottes ist deshalb in der Lage, wahrhaft menschlich zu handeln, weil Gott selbst ein Mensch geworden ist. Es ist nicht unmöglich, gottähnlich zu sein, ohne selbst dabei Gott zu spielen. In der Tat, eine große und vielleicht auch gewagte Aussage – aber mit Weniger sollten wir uns als Christen nicht zufrieden geben, wenn es darum geht, diese so zerrissene Welt und verletzte Erde mit zu gestalten.
In diesem Jahr begehen wir in der katholischen Kirche in besonderer Weise ein „Jahr der Barmherzigkeit“ und wir weisen dabei symbolisch mit einer offenen Tür darauf hin. Es geht dabei nicht darum, mit der offenen Tür der Barmherzigkeit in eine religiöse Magie zu verfallen. Es geht vielmehr darum, zu sich selbst zu finden, sich der eigenen Würde zu erinnern und im Eintreten erspüren: ich bin erwartet, um beschenkt zu werden. Ich kann kommen, wie ich bin, die Tür steht offen und Gott kommt auf mich zu mit weiten und offenen Armen.
In der Ökumene sind wir weit gegangen und das ist gut so. Die Türen offen halten und dort, wo sie noch oder wieder geschlossen sind unaufhörlich rütteln – das bleibt unsere Aufgabe – damit die Welt glauben kann auch in Zukunft.
Amen
A. Bauernfeind
Diese Predigt ist Bestandteil der Predigten vom Ökumenischer Abendgottesdienst ein Jahr nach dem Kirchentag am Sonntag, dem 19. Juni 2016, 19.00 Uhr mit dem Thema „Einander vertrauen – Türen öffnen“ zum Bibelvers Römer 14, 10-13